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Das IX. Capitel.
Instruction pro Symphoniacis Wie die Knaben, so vor andern sonderbare Lust und Liebe zum singen tragen, uff jetzige Italianische Manier zu informiren, und zu unterrichten seyn.

Gleich wie eines Oratoris Ampt ist, nicht allein eine Oration mit schönen anmutigen lebhafftigen Worten, unnd herrlichen Figuris zu zieren, sondern auch recht zu pronunciiren, und die affectus zu moviren, In dem er bald die Stimmen erhebet, bald sincken lesset, bald mit mächtiger und sanffter, bald mit gantzer und voller Stimme redet. Also ist eines Musicanten nicht allein singen, besondern Künstlich und anmütig singen. Damit das Hertz der Zuhörer gerühret, und die affectus beweget werden, und also der Gesang sein Endschafft, dazu er gemacht, und dahin er gerichtet, erreichen möge. Dann ein Sänger muß nicht allein mit einer herrlichen Stimme von Natur, sondern auch mit gutem Verstande, und vollkommener Wissenschafft der Music, begabt und erfahren seyn. Daß er wisse die Accentus fein artlich und cum Iudicio zu führen, unnd die modulos oder Coloraturen (so von den Italis Passaggi genennet werden) nicht an einem jeden Ort des Gesanges, sondern appositè, zu rechter zeit und gewisser maß anzubringen und zu appliciren, damit neben der Liebligkeit der Stimmen, auch die Kunst wol eingenommen und gehöret werde. Sintemal die jenigen gar nicht zu loben, welche von Gott und der Natur, mit einer sonderbahren lieblichen zitterten und schwebenden oder beben-


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den Stimm, auch einem runden Halß unnd Gurgel zum diminuiren begabet, sich an der Musicorum leges nicht binden lassen, sondern nur fort und fort, mit ihrem allzuviel colorirn, die im Gesang vorgeschriebene limites uberschreiten, unnd denselben dermassen verderben und verdunckeln, daß man nicht weiß was sie singen, Auch weder den Text noch die Noten (so der Componist gesetzt, und dem Gesange die beste Zier und gratiam giebt) vernehmen, viel weiniger verstehen kan.

Welche böse Art dann (deren sich sonderlich auch etliche Instrumentisten angewehnet) die Auditores, sonderlich die der Kunst etwas wissenschafft tragen, wenig afficiret und erlustiget, ja vielmehr verdrossen unnd schläfferig machet. Derowegen damit dem Gesange seine naturalis vis und gratia, die ihme der Meister gegeben, durch solche deformitet des diminuirens nit benommen, sondern von menniglichen jedes Wort und Sententia eigentlich verstanden werde, Ist hoch nötig, daß alle Cantores oder Sänger von Jugend auff in voce et pronunciatione articulata sich fleissig uben, und dieselbige ihnen bekant machen.

Wie aber, und welcher Gestalt dieses geschehen, und einer nach der jetzig, Newen Italianischen Manier, zur guten Art im singen sich gewehnen, die Accentus unnd affectus exprimirn, auch die Trillen, Gruppen unnd andere coloraturen, Am füglichsten unnd bequemsten adhibiren könne, dasselbige sol in einem absonderlichen Tractätlein (Worzu Mir denn sonderlich der Giulio Romano sonsten Giulio Caccini de Roma genant, in seiner Le nuove Musiche, und Giovanni Battista Bovicelli dienlich gewesen) in kurtzen mit Göttlicher Hülffe herfür kommen.

Zu einer lieblichen, rechten unnd schönen Art zu singen, gehören, wie auch zu allen andern Künsten, dreyerely, Als nemblich, Natura, Ars seu Doctrina, et Exercitatio.


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1. Natura.

Erstlich muß ein Sänger von Natur eine Stimme haben, In welcher drey Requisita und drey vitia zu mercken.

Die Requisita sind diese, das ein Sänger erstlich eine schöne liebliche zittern- und bebende Stimme (doch nicht also, wie etliche in Schulen gewohnet seyn, sondern mit besonderer moderation) und einen glatten runden Hals zu diminuiren haben, Zum Andern, einen stetten langen Athem, ohn viel respiriren, halten können, Zum dritten auch eine Stimm als Cantum, Altum oder Tenor et cetera. erwehlen, welche er mit vollem und hellem laut ohne Falsetten (das ist halbe und erzwungene Stimme) halten könne.

Und hierbey sind, Intonatio und Exclamatio zu mercken.

Intonatio.

Intonatio ist, wie ein Gesang anzufangen. sind davon unterschiedliche Meinungen. Etliche wollen, daß er in dem rechten Thon, etliche in der Secunda unter dem rechten Thon, doch daß man allgemach mit der Stimme steige, und dieselbe erhebe, Etliche in der Tertia, Etliche in der Quarta, Etliche mit anmütiger und gedempffter Stimme anzufangen sey, welche unterschiedene Arten meistentheils unter dem Namen Accentus begriffen werden.

Exclamatio.

Exclamatio ist das rechte Mittel die affectus zu moviren, so mit erhebung der Stimm geschehen muß, Und kan in allen Minimis und Semiminimis mit dem Punct, Descendendo angebracht unnd gebraucht werden. Unnd moviret sonderlich die folgende Nota, so etwas geschwinde fortgehet, mehr affectus, als die Semibrevis, welche in erhebung und verringerung der Stimm ohn Exclamation mehr stadt findet, auch bessere gratiam hat. Welches in vorgedachtem Tractat außführlich unnd mit Exempeln declarirt werden sol.


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Die vitia in der Stimm, sind, daß etliche mit vielen respiriren und Athem schöpffen, etliche durch die Nasen und mit unterhaltung der Stimm im Halse, etliche mit zusammen gebissenen Zeenen singen. Welches alles nicht wol zu loben stehet, sondern die Harmony deformiret und anmutig machet.

Und biß hierher von der Natura, folget die Doctrina.

2. Doctrina.

Fürs ander muß ein Sänger rechte Wissenschaft haben, die Diminutiones (so sonsten in gemein Coloraturen genennet werden) lieblich und Appositè zu formiren.

Diminutio aber ist, wenn eine grössere Nota in viel andere geschwinde und kleiner Noten resolviret und gebrochen wird. Dieser sind nun unterschiedliche Arten und Modi, Deren etliche Gradatim nacheinander folgende, geschehen als: Accentus, Tremulo, Gruppi und Tirata.

Accentus ist:

Wenn die Noten folgender Gestalt im Halse gezogen werden.

Nota Bene Die zweygeschwentzte Note, darunter 3 gezeichnet, bedeutet daß sie dreygeschwentzt seyn soll, deren 32 uff einen Tact gehören.


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Exempla:


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Nota initialis et finalis in Unisono.

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Per Secundam Ascendendo.

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Descendendo.

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Per Tertiam ascendendo.

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Descendendo.

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Per Quartam a) ascendendo, b) Descendendo.

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Per Quintam a) ascendendo, b) Descendeno.

Coetera in altero Tractatu.


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Tremolo, vel Tremulo:

Ist nichts anders, alß ein Zittern der Stimme uber einer Noten, die Organisten nennen es Mordanten oder Moderanten.


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a) Tremulus Ascendens. b) Descendens. Dieser Tremulo ist nicht so gut, alß der Ascendens. c) Tremoletti.

Und dieses ist mehr uff Orgeln und Instrumenta pennata gerichtet, alß uff Menschen Stimmen.


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Gruppo, vel Groppi:

Werden in den Cadentiis und Clausulis formalibus gebraucht, und müssen scherffer als die Tremoli angeschlagen werden.


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Tiratæ:

Sind lange geschwinde Läufflin, so gradatim gemacht werden, und durchs Clavier hinauff oder herunter lauffen.


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Je geschwinder und schärffer nun diese Läufflein gemacht werden, doch also das man eine jede Noten recht rein hören und fast vernemen kan, Je besser und anmütiger es sein wird.


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Die Diminutiones, so nicht gradatim fortgehen, sind Trillo und Passaggi.

Trillo:

Ist zweyerley: Der eine geschieht in Unisono, entweder auff einer Linien oder im Spatio, Wann viel gechschwinde Noten nacheinander repetiret werden.


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Und dieser Art sind im Claudio de Monte verde zufinden.

Der Ander Trillo ist uff unterschiedene Arten gerichtet. Und ob zwar einen Trillo recht zu formiren, unmüglich ist außm vorgeschriebenen zu lernen, es sey dann, das es viva Præceptoris voce et ope geschehe, und einem vorgesungen und vorgemacht werde, darmit es einer vom andern, gleich wie ein Vogel vom andern observiren lerne. Dahero Ich auch noch zur zeit, ausser vorgedachtem Giulio Caccini, in keinem Italianischem Autore dieser Art Trillen beschrieben, sondern allein uber die Noten, so mit einem Trill formiret werden sollen, ein t, oder tr, oder tri, ubergesetzet befinde. Jedoch hab ich etliche Arten alhier obiter mit bey zusetzen nötig erachtet, damit die noch zur zeit unwissende Tyrones, nur in etwas sehen und wissen mögen was ohngefehr ein Trillo genennet werde.


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Passagi:

Sind geschwinde Läuffe, welche beydes Gradatim und auch Saltuatim durch alle Intervalla, so wol ascendendo alß descendendo, uber den Noten so etwas gelten, gesetzet und gemacht werden.

Und sind zweyerley Art: Etliche sind einfeltige, so mit Minimis oder SemiMinimis, oder Minimis und SemiMinimis zu gleich formirt werden. Etliche sind zerbrochene, so aus Fusis oder Semifusis, oder Fusis und Semifusis zugleich gemacht werden.

(Die SemiMinimæ werden von den Italis Chromata, die Fusæ aber SemiChromata, Die Semifusæ, Bischromata genennet. )

Anfahende Schüler aber dieser Kunst, sollen Erstlich bey den einfechtigen und einfeltigen Passaggien den anfang nemen, und hernacher gemachsam in den zerbrochenen, mit Fusis gespickten sich fleisig exerciren und uben, biß sie endlich an die mit Semifusis gerathen und dieselbe zu wege bringen können.

3. Exercitatio.

Damit man aber dieses, was bißher kürtzlich berühret worden, desto besser einnemen könne, so muß solches mit allerley und vielen Exempeln auff mancherley Art diminuiret (do denn der modus Diminutionum daruber gezeichnet und man sich darauß zuersehen, welcher gestalt dieser und jenner Art Noten, auch diese und jenne Intervalla zu diminuiren und coloriren) demonstriret werden. Weil aber solches zu weitleufftig, und in diesem Tomo nicht kan begriffen werden, So wolle der wohlmeinende Musicus und Cantor hiemit so lang vorlieb nemen, biß der sonderliche außführliche Tractat in Præceptis und Exemplis, mit Göttlicher hülff in kurtz von mir an den Tag gegeben werde. Dahin ich den guthertzigen und nach solcher newen Art zu singen begierigen Musicum will remittiret und gewiesen haben, et cetera. Intereà valeat et vivat, meque fovere et amare pergat benevolus ac sincerus Musicus, cui ego pro viribus fideliter in-servire studeo et aveo, dum vivo,

Micaël Prætorius Creuzburgensis


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Letzlich hab ich noch dieses allhier mit beyzubringen, auch mit anzuhengen nötig erachtet.

Als 1. beym X. Capitel, folio 87 und folio 90.

Dieweil, wegen vieler unterschiedlichen Variation der Concertat-Stimmen in den Concert-Gesängen, es sich nicht allzeit schicken wollen, daß der Altus in den Altum, der Tenor in den Tenor, der Bass in den Bassum hette können eingesetzet werden. So hab ich auff ein ander Mittel bedacht seyn müssen. Und dieweil man doch ohne das die andern Stimmen, so nach dem Cantu, Alto, Tenore und Basso folgen, mit den Numeris und Namen, Quinta voce, Sexta parte, oder Quinto, Sexto et cetera. bezeichnen muß, So hab ich mich bedüncken lassen, daß es nicht unfüglich, von fornen an also bald solches numerirens zugebrauchen, also und dergestalt:

           
Primus  id est  Cantus 
Secundus  Altus 
Tertius  Tenor 
Quartus  Bassus 
Quintus  Quinta vox 

Und so fortan.

Ich bin gewiß, daß vernünfftige Musici, wenn sie der Sachen recht nachdencken, dißfalls mit mir gar wol eynig seyn werden, sintemal die Cantores und Organisten im anordnen und absetzen sonderliche Commoditet und Bequemigkeit hiedurch finden können, bevorab, wenn allzeit eine solche Tabella oder Speculum Harmonicum, inmassen im Basso Generali meiner Polyhymniarum ich allzeit darbey gesetzt, vorhanden.

2. Beym XII. Capittel folio 91, 92.

Dieweil ich auch mehr dann gewiß bin, daß etliche Musici (so itzige newe Italianische Art zu componiren noch zur zeit nicht observiret, und anfangs meine eygentliche Meynung vielleicht so bald nicht assequiren, oder auch anders, alß ich es gemeinet, außdeuten köndten) von diesem meinem Opere etwas sinistrè atque ita minùs dextrè judiciren werden. So kan ich wol leyden, wilauch drumb gebeten haben, daß mir solche und dergleichen scrupel entweder schrifftlich oder mündlich entdecket werden möchten, darmit ich einem jeden daruff meine Meynung dißfalls gründlicher und eygentlicher zu erkennen geben könte.

Sonsten hab ich auch noch des Giovanni Francesco Capello Venetiani, verba,


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so mir newlich in einer seiner præfation zu handen kommen, auß dem Italianischen ins Teutsche vertirt, hierbey mit einsetzen wollen, da er also spricht:

Ich vergewissere die Glossatores und Klüglinge der itziger Zeit gebreuchlien Music, daß, wenn man in den Ripienen (das ist in Pleno choro) die Chore doppelt abschreiben, und einen oder zween mit einander in Unisonis, den andern und dritten in Octaven zugleich fort musiciren lest, wie man denn solches uberall also machen kan, Daß der Gesang uff solche Manier viel frölicher und völliger sich hören lasse. Und macht gar einen schönen effectum, Audite, probate, acquiescite. Hæc ille.

Dieses bezeugt nun die Erfahrung, daß solches in 3, 4, 5 Choren, gar wol kan observirt werden. Denn es im Gehör, sonderlich in grossen Kirchen gut ist, ob es gleich sonsten uffm Cartell nach Art der Regel und Composition nicht könte zugelassen werden. In Moteten aber mit 6, 7 und 8 Stimmen, kan solches gar wol vermitten, und rein gesetzet werden. Daß ich es aber in Polyhymnia Panegyrica an etlichen Orten mit der Capella Fidicinia also, wie folio 100 und 118 angezeigt worden, gehalten, und die Instrumental-Stimmen in derselben Capella Fidicinia vor und an sich selbst untereinander rein und just, und also auch die Concertat-Stimmen vor sich allein gesetzet, dasselbe hab ich mit sonderm Fleiß und gutem Bedacht also setzen und ordnen wollen. Darmit ich nur probiren und dadurch erfahren könte, wie sich die Harmonia in solcher Art erweisen und hören lassen möchte.

Wenn man per Choros musiciren, und bey etlichen unterschiedenen Choren, sonderliche Organisten oder Lautenisten ordnen will, So zweiffelt mir nicht, es werde ein jeder, ohn mein erinnern, wissen, daß der Genreal-Baß so offt muß abgeschrieben, und einem jeden Chor darinnen mit roter oder anderer Dinten unterstrichen werden, was ein jeder bey seinem Chor schlagen solle.

Aber hiervon in dem absonderlichem Tractat vom General-Baß, geliebts Gott, mit mehrem.

Im General-Baß Polyhymniæ III Panegyricæ, seynd fornen an, so wol auch in den Notis bey einem jeglichen Concert, noch allerley notwenige Admonitiones und Observationes zu finden, die zum Dritten Theyl dieses Tomi Tertii referiret werden können.


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